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Interview (Musik)Blättern: Vorheriger Artikel | Nächster Artikel

ODEVILLE: Ein Raum zum Reflektieren

Auf ihrem sechsten Album Jenseits der Stille zeigen Odeville ganz klare Kante gegen Rechts, aber auch sehr persönliche Seiten. Mit Sänger Hauke habe ich ein Interview geführt, das Grundlage für eine Story im kommenden yeah! Magazin #14 ist. Das Material, was ich nicht im Heft unterbringen konnte, könnt Ihr hier in voller Länge aufsaugen - und es lohnt sich!

Otti:
In zwei Wochen erscheint Eure sechste Langspielplatte Jenseits der Stille. Hat sich die Vorfreude auf so eine Veröffentlichung im Laufe der Jahre verändert? Und wenn ja, wie?

Hauke:
Die einzige Konstante der letzten 14 Jahre ist, dass es eigentlich keine Konstante gibt.
Wir kämpfen uns durch Veröffentlichungsstrategien, wechselnde Medienpartner und ein Sammelsurium aus Marketingideen, die sich von Jahr zu Jahr, manchmal gefühlt von Monat zu Monat verändern. Die Beschleunigung im Musikbusiness geht natürlich auch an uns nicht spurlos vorbei, und wir hadern da selbst manchmal mit uns und unserem Leben neben der Band. Man kann sich kaum auf das Geschaffte besinnen, denn auf dem Schreibtisch liegen dann schon wieder 20 weitere Tools oder To Do´s die abgearbeitet werden müssen. Wir betreiben die Band wie einen Hauptjob und müssen natürlich auch in der "Echten Welt" unsere Brötchen finanzieren. Da steht man dann manchmal im Proberaum und will einfach nur schreien: "Können wir jetzt bitte endlich mal wieder Musik machen". Das geht natürlich nicht nur uns so. Da sind alle Indie-KünstlerInnen von betroffen. Wenn ich mich mit Kollegen aus der Szene unterhalte, habe ich eher das Gefühl , dass wir alle Online-Manager geworden. Reels, Storypost, Playlistenpitching, die Erstellung von NFTs, Twitch oder Youtube, in Google Adds investieren oder lieber in eine Facebook-Kampagne, Album auf CD, Vinyl oder MC, wir brauchen Fan-Box um zu Charten, der Verkauf läuft über den eigenen Shop, schnell noch einen Feature releasen, schwedisches Veröffentlichungsprinzip und Popsongs sind jetzt ab sofort 2:30 Minuten lang und nicht mehr 3:30 - Wer sagt das? Spotify!
Und ganz von hinten grüßt TikTok aus der Ferne und sagt: "Ich weiß, dass ihr alle keinen Bock auf mich habt, aber ich bin die Plattform der Zukunft." All diese Gedanken hatten wir bei der ersten Veröffentlichung von I Am Tourist 2009 nicht. Das hat sich sehr gesund angefühlt und es war unser erstes Album. Das ist wie mit der ersten Liebe. Diese Schmetterlinge vergisst man nicht.
Jenseits der Stille ist eine neue Liebe in einem schnellen Zeitalter - mit ein paar Songs, die ab sofort immer ein Teil unseres Livesets sein werden. Das ist die wahre Freude. Es ist keine Lückenfüllerplatte. Long Story Short - Jede Liebe ist und wird anders sein, als die zuvor, und als Mensch muss man sich immer wieder neu auf sie einlassen. Aber wir drei mögen es, uns aufs neue zu verlieben. Egal welches neue Soziale Netzwerk die Trendcharts anführt.

Odeville: Jenseits der Stille
"Fick Dich Rassismus! Fick Dich Homophobie! Fick Dich Intoleranz!"

Otti:
Auf welchen Song auf Jenseits der Stille seid Ihr rein kompositorisch besonders stolz?

Hauke:
Laut unserem Produzenten Arne Neurand müssen wir wohl besonders stolz auf Stille sein.
Bei einem gemeinsamen Feierabendbier hat er uns gestanden, dass es der beste Song ist, den er jemals mit uns aufnehmen durfte. Da kann man sich schon was drauf einbilden. Der Mann hat schon über fünfzig Songs mit uns recorded und auf einmal ist da dieses Lied, das ihm während der Session die Tränen in die Augen treibt. Und dann beim Mixing noch einmal. Und dann beim Release wieder. Hier stimmt der Text, die musikalische Untermalung und das Feeling so sehr, dass man den damaligen "Magic Moment" einfach immer wieder reproduzieren kann, in dem die Rewind Taste gedrückt wird. So ein Song passiert einer Band selten und dann sind auch ausgeklügelte Akkord-Folgen oder ein Pseudo-Intelligenter Text nichtig, wenn man im Studio nicht den einen magischen Moment kreiert und einfangen kann.

Otti:
Die "Stille" an sich scheint Euch bei den Arbeiten am neuen Material besonders beschäftigt zu haben, findet sie sich doch nicht nur im Namen des Albums und dem Titel-gebenden Song, sondern auch im berührenden Lied Stille wieder. Welche Bedeutungen der Stille berühren Euch besonders?

Hauke:
Die Stille gibt dir einen Raum zu Reflektieren. Jeder trägt eine Gewisse Zahl von unterschiedlichen Kästchen mit sich, die alle danach schreien, geöffnet zu werden. Man selbst will das ja im ersten Moment überhaupt nicht. Wer will sich schon mit seinen eigenen Dämonen herumschlagen.
Ich lenke mich persönlich gerne im lauten Hamburg ab. In den Bars und Clubs dieser Stadt. Dann kam der Lockdown und der emotionale Kater, der jetzt schon über zwei Jahre anhält. Dieses Album ist wohl unser Corona Tagebuch, ohne dabei auch nur eine einzige Covid Situation zu besingen. Ist dann wohl passend, dass wir es zum gefühlten Neustart im März releasen und Jenseits der Stille nennen.

Otti:
Zum Song Stille habt ihr auch ein technisch scheinbar simples, aber um so bewegenderes Video veröffentlicht. Wer kam auf die Idee dazu, und wie ging die Umsetzung vonstatten?

Hauke:
Ich habe unserem Regisseur Justus Beckmann folgendes erzählt: "Stille ist der erste Song, bei dem alle Menschen unfassbar emotional reagieren und zu Tränen gerührt sind. (Wenn sie ihn das erste Mal hören und den Text vor Augen haben.) Wie schaffen wir es, diese tiefen wahren Emotionen in ein Video zu bannen?" Da zitiere ich gerne meine Großmutter: Schlicht besticht.
Acht Personen (die diesen Song noch nie gehört haben) aus unserem Umfeld gefragt, ob sie nicht Lust auf ein Experiment hätten. Drehort und Zeit bestimmt. Kamera aufgestellt. Stille laut aufgedreht und die Reaktionen gefilmt. Am Ende das wahrscheinlich ehrlichste Video, das wir veröffentlicht haben.

"Stille" von Odeville:

Otti:
Was habt Ihr selbst gefühlt, als Ihr Euch den Clip das erste Mal angeschaut habt?

Hauke:
Erster Satz nach dem Video von unserem Drummer Sascha: "Das muss ich jetzt erstmal sacken lassen". Ich bin hingegen ein wenig stolz und auch dankbar, dass sich unsere DarstellerInnen so offen und zerbrechlich zeigen und uns auch die Möglichkeit geben, ihre Zerbrechlichkeit mit unseren Fans zu teilen. Wir haben noch nie so viele DMs, Mails und WhatsApp Nachrichten bekommen, in denen sich die Menschen bei uns für ein Lied bedanken. Das ist immer noch unfassbar.

Otti:
Stille ist vom Anschlag in Hanau inspiriert, soweit ich weiß, und mit Liebe, Freiheit, Sehnsucht, Alles habt Ihr ein Stück geschrieben, das sehr klare Kante gegen Rechts zeigt. Wie nehmt Ihr die Entwicklung an den politischen Rändern - insbesondere am rechten - in den letzten Jahren wahr?

Hauke:
Offensichtlich! Es macht uns Angst, wenn in Hamburg tausende Menschen gegen die Corona Politik der Regierung protestieren und mit Nazis "Spazieren" gehen, ohne sich selbst zu hinterfragen: Sollte ich jetzt gemeinsam mit Menschen auf die Straße gehen, die den Holocaust leugnen und Jagd auf all das machen, das nicht in ihr arisches Bild passt. Schwieriges Thema, das aber noch zu selten von den "Big Playern" im Buisness angesprochen wird. Wir haben jedenfalls unsere Reichweite zu nutzen gelernt, um unser Standing an unsere HörerInnen weiterzugeben.
Fick Dich Rassismus! Fick Dich Homophobie! Fick Dich Intoleranz!

Otti:
Der wohl persönlichste Song auf dem Album ist Untertage und beinhaltet Zeilen, die unter die Haut gehen. Wie ist dieses Lied entstanden? Und wie viel Mut brauchte es, die darin formulierten Gedanken dem Publikum zugänglich zu machen?

Hauke:
Das freut mich sehr, dass er dir gefällt. Untertage ist auch mein heimlicher Favorit.
Auch da zitiere ich gerne wieder unseren Produzenten Arne Neurand. Nachdem der letzte Take eingesungen war und ich in der Studio Kabine nach Luft schnappte, sagte er nur über das Talkback Mikrofon: "Ich bin ehrlich, Untertage wird kein Hit, aber er wird einigen Menschen die Welt bedeuten." Unser Gitarrist David hat diesen Song einfach fantastisch arrangiert und es war mir wichtig, dass seine Arbeit nicht für einen 08/15 Tagebuch Schnulzen Song in die Tonne gekloppt wird. Ich bin ehrlich, zu der Zeit ging es mir nicht gut. Ich war leider wieder in einer Phase gefangen, wo allein der Weg in den vierten Stock sich angefühlt hat wie ein Halbmarathon. Depression sind immer noch ein Tabuthema in Deutschland. Jeder hat andere Tools, damit umzugehen. Einige "Issues" bekomm ich mit dem Schreiben und Komponieren von Songs in den Griff. Andere durch Ernährung, Sport und Selfcare. Untertage beschreibt aber die Tage der totalen Selbstzerstörung, auf der Suche nach einem Strohhalm und wie man sich um vor seinem Umfeld versteckt, lauter lacht als alle anderen, nur um nicht schwach zu wirken.

Otti:
Bei Won´t Forget These Days habt Ihr Euch an den schmalen Grat gewagt, nicht nur zu covern, sondern die Lyrics ins Deutsche hinein zu bearbeiten. Wie hat sich das entwickelt? Und wie war der Kontakt mit Fury In The Slaughterhouse diesbezüglich, die für solch eine Abwandlung ja ihren Segen geben mussten?

Hauke:
Das war eine wahrhaftige Schnapsidee. Wir haben im ersten Lockdown aus der Langeweile heraus sehr viele KünstlerInnen gecovert. Bosse, Matze Rossi, A-Ha... und dann lief während einer dieser trinkfreundigen Sessions Won´t Forget These Days in einer Playlist. Bäm. Da hat uns einfach der Song gefunden, ohne dass wir nach ihm gesucht haben. Mit den Lyriks war das schon schwieriger. Mein Englisch ist weder British, noch Nativ, noch Abi-Leistungskurs 15 Punkte. Deshalb war mir von Anfang an wichtig, die Quintessenz der Aussage zu treffen, um bei Fury nicht in Ungnade zu fallen. Wir haben nur wenige Tage bis zur Demo gebraucht, um dann Fury den fertigen Song zu zeigen. Zu unserer Überraschung haben die Boyz unsere Idee auch recht schnell durchgewunken.
Als wir ihnen dann nach mehreren Wochen die Studioversion geschickt haben, wurde uns sogar berichtet, dass es wohl das beste Cover ist, das sie jemals von WFTD gehört haben. So ein Kompliment lässt man sich doch gerne von einer Band mit dieser Geschichte, wie Honig in den Hipsterbart schmieren.

Otti:
Welche Bedeutung hatten Fury für Eure eigene musikalische Entwicklung?

Hauke:
Sagen wir so: Es gab eine Zeit, wo wir auf dem Tresen einer Kleinstadt Indie Diskothek, oben ohne und gegen jeden Anspruch Won´t Forget These Days gegrölt haben. Da wurde aber noch in D-Mark bezahlt. Es überrascht mich trotzdem, dass ich heute noch die Songs der Mono auswendig mitsingen kann. Wir schielen grade eher auf KünstlerInnen außerhalb unseres Genres. Ob elektronische Musik, Hardcore oder Hip-Hop. Wir würden auch durchdrehen, wenn wir den gleichen Kram, den wir spielen auch noch von anderen Bands hören müssten. (Lacht)

Otti:
Und wenn es nach Euch geht - wie sieht die weitere Entwicklung von Odeville in nächster Zukunft aus?

Hauke:
Wir warten erstmal die gesamtgesellschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre ab. Die Branche liegt am Boden und auf ihr, tonnenschwere Fragezeichen. Ich würde Lügen, wenn ich sage, dass das an uns ohne Spuren vorbeigehen wird... Auf der anderen Seite sind wir unverwüstliche Sturköpfe und klopfen wahrscheinlich in zwei Jahren mit einer neuen Platte in der Hand an eure Tür, bitten um Einlass und fressen euch dann den Kühlschrank leer.

Website:
odeville.de

Art des Interviews: Email
03/03/22 by Otti
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03/16/22ODEVILLE: Jenseits der Stille(Rezension: Musik)
02/28/21ODEVILLE: Video zu "Won´t forget These Days"(Video: Musik)
02/05/22ODEVILLE: Video zu "Stille"(Video: Musik)
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