Als Komponist und Instrumentalist der Formation Janus ist Tobias Hahn insbesondere Menschen in der schwarzen Szene über den Weg gelaufen. Daneben hat er an vielen weiteren Projekten mitgewirkt und ist auch als Produzent tätig - jetzt hat der umtriebige Künstler sich zudem auf Solopfade begeben. Rückzug heißt das erste Album unter eigenem Namen, ein spannendes Instrumentalwerk, welches Klavier und Synthesizer miteinander kombiniert. Im Interview verrät Toby, wie es zu diesem Projekt kam und was es für ihn bedeutet.
Otti:
Durch Deine Arbeit als Produzent, aber auch mit Bands wie Janus oder Persephone, bist Du alles andere als ein unbeschriebenes Blatt - Rückzug ist aber Dein erstes Soloalbum, richtig? Was hat Dich dazu bewogen, nun unter eigenem Klarnamen Musik zu veröffentlichen?
Toby:
Ich hatte schon sehr lange die Idee und den Wunsch ein Album mit Klavier aufzunehmen. Aber irgendwie war immer etwas anderes wichtiger oder dringender. Aber dann kam diese ganze Lockdown Geschichte und es haben sich viele Termine verschoben, so daß ich das Projekt endlich angegangen bin. Die Idee war, elektronische und verzerrte Sounds mit dem natürlichen Klang des Klaviers zu kombinieren, das für mich die emotionale und melancholische Stimmung verkörpert, während die Elektronik die Technologie und äußeren Einflüsse beschreibt.
Weil Rückzug einen starken autobiographischen Bezug hat, wollte ich diese Musik auch ehrlicherweise unter meinem Namen veröffentlichen, ohne einem verschwurbelten Konstrukt eines Soloprojektes.
"Die Arbeit an Rückzug war für mich die Therapie, mit meiner persönlichen Krise klarzukommen."
Otti:
Deine Stücke sind nicht zuletzt unter den Eindrücken der Pandemie und der damit einher gehenden Lockdowns und Einschränkungen entstanden. Für viele Menschen wird die Belastung durch selbige größer und größer, wie ist das bei Dir?
Toby:
Ich habe Anfangs auch zu denen gehört, die die Pandemie nicht sehr ernst genommen haben, sondern davon ausgegangen sind, daß spätestens nach drei Monaten alles wieder beim Alten ist. Heute bin ich jedoch davon überzeugt, daß es kein Zurück mehr geben wird, sondern daß wir mit dieser Pandemie werden leben müssen. Dabei werden die Einschränkungen sicherlich sukzessive zurückgenommen, aber in den nächsten paar Jahren wird das Virus nicht verschwinden, sondern es wird uns weiter zu schaffen machen.
Bei mir persönlich hat die Situation wie ein Katalysator gewirkt und einen Prozess angestoßen, der einen riesigen Haufen Dreck aufgewirbelt hat, der sich in den Tiefen des Unterbewusstseins abgelagert hatte. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich wieder einigermaßen klare Sicht hatte.
Otti:
Inwieweit hilft das Komponieren und Musizieren Dir ganz allgemein, mit der aktuellen Situation umzugehen?
Toby:
Die Arbeit an Rückzug war für mich die Therapie, mit meiner persönlichen Krise klarzukommen. Es ist der Wunsch, die negativen und dissoziativen Kräfte in etwas Schönes zu verwandeln. Das war für mich immer schon eine ganz wichtige Hilfe, um mit schwierigen, mentalen Situationen umzugehen.
Schon nach den ersten paar Klavierstunden, die ich als Teenager hatte, habe ich begonnen, eigene Stücke am Klavier zu schreiben. Anfänglich auf sehr überschaubarem Niveau. Später dann habe ich begonnen, am Klavier Lieder zu schreiben, in denen ich über alles gesungen habe, was mich fertig gemacht und runter gezogen hat. Manchmal blättere ich heute noch in den vollgestopften Ordnern mit den Texten und Noten von damals, die fast so etwas wie ein Tagebuch sind. Insofern kann man sagen, daß Musik für mich das Wichtigste ist, um mit dieser und generell allen schwierigen Situationen klarzukommen.
Otti:
Die Stücke auf Rückzug sind rein instrumental angelegt. Was sprach gegen eine Vertonung mit Texten?
Toby:
Ich wollte das Klavier in den Mittelpunkt stellen. Von Anfang an ging es mir um eine rein instrumentale Umsetzung, deshalb gibt es weder Texte noch Gesang. Ich wollte aber trotzdem einen persönlichen Bezug zu mir mit vokalen Elementen herstellen. Deshalb habe ich für das erste und letzte Stück einen tonalen Chor aufgenommen.
Otti:
Wenn Du nun Nummern wie Bangen und hoffen oder Die guten Momente sind endlich komponierst - welche Gedanken, Gefühle und Bilder erfüllen Dich dabei, und an welchem Punkt weißt Du, welcher Titel für den jeweiligen Track der Richtige ist?
Toby:
Bevor ich Anfange am Klavier an einem Stück zu arbeiten, habe ich schon eine Idee, oder zumindest ein Gefühl im Kopf. Manchmal ist es eine musikalische Figur, manchmal aber auch eine Bild, oder eine filmische Szene. Dann improvisiere ich dazu und probiere alles mögliche aus. Wenn es gut läuft, entsteht daraus eine konkrete musikalische Idee, die ich dann strukturiere und in Form bringe, um sie weiter ausproduzieren zu können.
Nachdem ich ein paar zusammenhanglose Musikskizzen gesammelt hatte, legte ich Form und Umfang für Rückzug fest, also den Spannungsbogen und die Anzahl der Stücke. Danach arbeitete ich die einzelnen Stücke aus. Für mich ist das Album eine Art Film mit neun Kapiteln, der die Geschichte von meinem Rückzug erzählt.
Otti:
Dein Material weckt unweigerlich auch Assoziationen zu Film- oder Videospielmusik. Hast Du in solchen Bereichen bereits gearbeitet? Wenn nicht, wäre das etwas, was Dich reizen würde?
Toby:
Ich habe schon Filmmusik gemacht und auch für für das Theater komponiert. Dabei ist es für mich das Wichtigste, einen emotionalen Draht zu dem Thema, oder der Geschichte zu haben. Die Arbeit muß sich stimmig anfühlen, weil sonst auch nichts Gutes dabei herauskommt. Dann macht es auch keinen so großen Unterschied, für welches Genre die Musik gemacht wird.
Otti:
Was sind denn überhaupt - neben der Musik - die Medien, die Dich besonders geprägt und inspiriert haben?
Toby:
Leider lese ich heute nicht mehr so viel wie früher. Aber Bücher sind für mich die wichtigste Inspirationsquelle. Besonders gerne lese ich Geschichten, ohne mich auf ein Genre oder einzelne Autoren festlegen zu können. Es geht wirklich quer durch den Gemüsegarten von Poe und Lovecraft über Tolkien, Asimov bis Max Frisch, Kafka und Koeppen u.v.m.
Otti:
Als Reaktion auf meine Rezension hast Du Dir selbst auf Facebook die Frage gestellt: "Korrelieren Anspruch und Exzentrik in der Kunst?" Bist Du da zwischenzeitlich zu einem Ergebnis bekommen?
Toby:
Das war natürlich etwas ironisch gemeint, aber der Gedanke gefällt mir. Wenn man Exzentrik im Sinne von Eigenständigkeit und Authentizität versteht, würde ich zustimmen, daß es da einen Zusammenhang gibt. Ich kann mich besonders für Künstler begeistern, die ihren unverkennbar eigenen Stil entwickeln und sich somit eine eigene Welt schaffen. Daß das durch den einen oder anderen als verstörende Exzentrik wahrgenommen wird, ist nicht verwunderlich. Kunst darauf zu reduzieren, wäre aber sicherlich zu klein gedacht. Du siehst, zu einem Ergebnis bin ich noch nicht gekommen.
Otti:
Und welche Rolle spielt für Dich der kommerzielle Faktor bei den Musikprojekten, in denen Du Dich engagierst?
Toby:
Ich stand in meiner beruflichen Laufbahn an einem Punkt, an dem ich entscheiden mußte, ob ich ausschließlich von Musik leben möchte. Der Gedanke war sehr verlockend. Allerdings beobachte ich bei vielen Kollegen, daß kommerzielle Zwänge für das musikalische Schaffen oftmals bestimmend werden und es teilweise oder ganz korrumpieren. Deshalb bin ich froh, neben der Musik noch andere Standbeine zu haben, die gewährleisten, tatsächlich nur das musikalisch zu machen, was mir wirklich etwas bedeutet.
Otti:
Sofern und sobald Livemusik wieder möglich ist - planst Du entsprechende Auftritte mit dem Material von Rückzug?
Toby:
Ich hätte große Lust, die Stücke live zu spielen. Planen kann man aufgrund der Pandemie zur Zeit allerdings nichts. Sobald das wieder möglich ist, sehen wir weiter.
Otti:
Fans und Freunde von Dir werden natürlich immer auch wissen wollen, was gerade bei Janus ansteht - gibt es da aktuell Pläne, die Du verraten kannst?
Toby:
Da fällt mir jetzt spontan nichts ein, was wir seitens Janus nicht über die üblichen Info-Kanäle bereits angekündigt hätten. Anfang März wird endlich unser Opus Magnus Terror veröffentlicht und dann hoffen wir, daß unsere für den Herbst geplante Konzerttour stattfinden kann. In der Zwischenzeit werkeln wir in gewohnter Manier endlos an wirren Ideen und Fragmenten, die unter der Überschrift "All die Geister" zusammengefasst sind. Ergebnisse in Kürze - nach Janus-Zeitrechnung.
Otti:
Zum Abschluss schauen wir vorsichtig in die Zukunft: Wieviel Hoffnung hast Du, dass Kunst und Kultur die aktuelle Krise überstehen? Welche Schäden, aber auch welche positiven Entwicklungen, können Deiner Ansicht nach daraus erwachsen?
Toby:
Das Leben wird schon irgendwie weiter gehen. Das gilt meiner Meinung nach auch für Kunst und Kultur. Allerdings bin ich auch überzeugt, daß es Jahre dauern wird, bis sich die Szene von dem einsetzenden Kahlschlag erholt hat. Dabei befürchte ich, daß sich die Auswirkungen auf den Kulturbetrieb erst in den nächsten Monaten in vollem Ausmaß zeigen werden. Es werden viele Betriebe schließen müssen. Profitieren können davon vielleicht unabhängige Independent-Projekte, die auf die kommerzielle Verwertung weniger stark angewiesen sind, mit dem Ergebnis einer erstarkenden Subkultur und lokalen Schwerpunkten. Das könnte durchaus interessant werden.
Weiterhin viel Erfolg für Nightshade und bis bald!
Mehr Infos:
facebook.com/Dystoby
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