Unter Historikern ist die Meinung weit verbreitet, dass es für die Bauten des Mittelalters - der Gotik und der Romanik - Baupläne gegeben haben muss, anders seien diese architektonischen Meisterleistungen nicht machbar gewesen. Tatsächlich aber gibt es aus besagter Zeit kaum überlieferte Zeichnungen und Pläne. Sind diese wirklich verloren gegangen, oder müssen wir davon ausgehen, dass seinerzeit gar ohne selbige gebaut wurde?
Dieser Frage geht Dr. phil Sonja Ulrike Klug in ihrem Buch Zauberer des Zirkels auf den Grund, denn tatsächlich zweifelt sie die Existenz von Bauplänen, wie wir sie heute kennen, bis zur Zeit der Renaissance an. Schritt für Schritt erklärt sie, warum wir das Bauwesen des Mittelalters nicht aus unserem modernen Blickwinkel betrachten dürfen - so waren zum Beispiel Beschreibstoffe rar, teuer und in bestimmten Varianten auch schwer transportabel. Erst mit der Verbreitung des Papiers, der Erfindung des Buchdrucks und der Einführung von Schulen außerhalb des Klerus hat sich die Entwicklung von einer präliteralen zu einer literalen Welt vollzogen, in der Wissen in schriftlicher Form weitergegeben wurde. Und auch das perspektivische Zeichnen war im Mittelalter noch komplett unbekannt.
So räumt Frau Klug mit Irrtümern von Historikern und anderen Autoren auf und fügt belegte Erkenntnisse so zusammen, dass wir eine neue Perspektive auf die großen Bauwerke, Kirchen und Kathedralen dieser Epoche bekommen. Natürlich gingen die Bauherren dieser Zeit nicht planlos vor, aber sie planten mit praktisch erlerntem Wissen und vieles wurde auch erst auf dem Baugrund erarbeitet.
Argumentativ geht die Autrorin sachlich und nachvollziehbar vor - maximal bei ein bis zwei Schlussfolgerungen möchte man mit einem "Ja, aber..." zumindest mal einhaken. Hierbei handelt es sich jedoch keinesfalls um tragende Säulen für ihre Argumentation, weswegen dies kaum ins Gewicht fällt. Vielmehr genießt man nicht nur den Sachverstand, sondern auch den angenehmen Stil, den Sonja Ulrike Klug durchweg nutzt, um leicht verständlich und dabei fundiert ihre Theorie darzulegen - zugleich gelingt es Ihr, geschichtlichen Kontext so einfließen zu lassen, dass das eigene Wissen hierzu wunderbar aufgefrischt und ergänzt wird. Zauberer des Zirkels ist somit nicht nur Experten interessant, sondern für jeden Leser, der sich für mittelalterliche Architektur und Geschichte begeistern kann!
Veröffentlicht: September 2020
Genre: Geschichte/Architektur (Sachbuch)
Verlag: Nünnerich-Asmus Verlag & Media
Umfang: 160 Seiten
Preis: 25,00 Euro (Gebunden)
ISBN: 978-3-961761-21-0
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