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Das Musikprojekt Fantôme vereint zwei geniale und sympathische Künstler in sich: Hanin Elias (Ex-Atari Teenage Riot) und Marcel Zürcher (Die Krupps). Über Jahre haben sie an gemeinsamem Material gearbeitet, welches nun auf ihrem Debütalbum It All Makes Sense zu hören ist. Für das SLAM-Magazin durfte ich den beiden auf den Zahn fühlen, um so einen Artikel über Fantôme für die kommende Ausgabe des Heftes zu verfassen. Das zu Grunde liegende Interview könnt Ihr hier in voller Länge lesen.
Otti:
Gleich mal vorweg die Frage: Ihr arbeitet ja wie ich gelesen habe schon ziemlich lange an eurem Material. Wie habt ihr euch denn kennengelernt, also wie hat das Projekt Fantôme seinen Lauf genommen?
Hanin:
Marcel und ich lernten uns durch meinen ehemaligen Gitarristen Chris Van Helsing kennen. Ich suchte noch einen Drummer und Chris schlug Marcel vor.
Ich war sofort begeistert von Marcel´s Talent und fand schnell heraus, dass er nicht nur gut hinter den Drums war. Schnell spielte er Lead Guitar bei Live Auftritten und auf Tour jammten wir oft herum und schrieben Songskizzen zusammen die wir dann in Hamburg bei Marcel zu Hause als Demoversionen aufnahmen. Wir hatten beide zusammen einen völlig neuen Stil und inspirierten uns gegenseitig.
Marcel:
Ich wollte schon immer gerne was mit Hanin machen, da ich Fan war. Irgendwann stand sie dann vor meiner Haustür.Schon seltsam....
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Otti:
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Band nicht nur aus der Lust, was neues zu machen, entstanden ist. Wieviel Herzblut steckt da wirklich hinter?
Hanin:
Wir hatten beide das Gefühl, dass wir gerne etwas persönliches erschaffen wollten, was nichts mit der Musik zu tun hat, die wir seit Jahren machten. Ich wollte nicht immer nur mit ATR in Zusammenhang stehen und mich von der Vergangenheit lösen, meinen tieferen Gefühlen freien Lauf lassen und mehr persönliche Dinge thematisieren und musikalisch etwas freier agieren. Wir teilten beide diesen Wunsch und setzten ihn ganz ohne große Strategie um. Es kam einfach ein ganz anderer Sound dabei heraus, wenn wir uns zusammen setzten.
Marcel:
Alles ist ganz natürlich und ohne Schubladendenken entstanden. Es gab keine Vorlagen wie irgendwas klingen muss, oder was gerade angesagt ist. Es musste sich für uns gut anfühlen.
Otti:
Ihr wart und seid beide auch in anderen bekannten Bands aktiv. Wie schwierig war es da, sich zusätzlich auf das Songwriting für Fantôme zu konzentrieren?
Marcel:
Eigentlich gar nicht. Es ist eher wie Urlaub.
Hanin:
Meine Zeit bei ATR war ja schon vorbei, als wir uns kennenlernten, und ich hatte schon mit Marc Chiffre und Tweakerray je ein Album herausgebracht. Marcel arbeitete mit den Krupps und hat sich viel Zeit für unsere Sachen genommen, da wir beide sehr enthusiastisch waren, was unsere Songs anging.
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Otti:
Und wie genau habt ihr euch denn die Aufgaben dabei aufgeteilt?
Hanin:
Das folgte nicht immer dem selben Schema.
Mal schrieb ich zuerst Texte, las sie ihm vor, Marcel fing an auf der Gitarre herumzuspielen, ich sang dazu eine Melodie, dann setzten wir uns zusammen vor den Computer und suchten die passenden Flächen heraus, stritten oft um Kleinigkeiten bis es passte, oder Marcel schickte mir einen Song den er schon gemacht hatte und ich schrieb dann Text und Gesang dazu, oder ich hatte einen Song aufgenommen und Marcel setzte ihn mit Instrumenten um.
Otti:
Im Januar erscheint dann jetzt euer Debütalbum It All Makes Sense, ein tolles Werk, wenn ich das so sagen darf. Mit welchen Gefühlen blickt ihr - trotz aller Erfahrung - auf dieses gemeinsame Baby?
Hanin:
Vielen Dank :)
Es war keine einfache Geburt! Nachdem wir 10 Demosongs an Labels geschickt hatten, was schon 2006 geschah, gab es nur Absagen und ich war total am Boden und glaubte nicht mehr an einen Release, da ich mich zu dieser Zeit ausser Stande sah das ganze wieder selbst herauszubringen. Auf Grund von veränderten Labelstrukturen und grossen Veränderungen im Musikmarkt war alles viel komplizierter geworden und ich hatte ja kurz vorher schweren Herzens mein Label Fatal Recordings aufgelöst, weil alle Vertriebe pleite gingen. Ich gab also alles auf und zog auf eine kleine Insel im Südpazifik nahe Tahiti und lebte dort mit meinen Kinder, widmete mich der Natur und pflanzte Riesenkartoffeln und Vanille, fischte, lebte und liebte den Traum vom Leben auf einer einsamen Insel.
Marcel war stinksauer auf mich und löschte die besten Aufnahmen unseres gescheiterten Demos. Er dachte, er würde mich nie wieder sehen...
Ende 2010 kam ich wieder nach Berlin zurück, brachte bei einem italienischen Label (Rustblade) das Album Get it back heraus und konnte es kaum erwarten mit Marcel an unseren Sachen weiterzufeilen. Wieder voller Energie und Euphorie gingen wir in ein Studio in Hamburg, wo wir erneut bessere Versionen unserer Tracks aufnahmen, für die sich wieder keiner interessierte. Bis ich es endlich schaffte, im Februar 2012 David Husser und Paul Kendall dafür zu gewinnen, das Album so richtig fett in Paris aufzunehmen. Wir verbrachten 2 Monate dort, Marcel etwa 2 Wochen, um alles so aufzunehmen, wie wir es uns vorstellten.
Marcel bearbeitete einige Songs nochmal, die zu clean erschienen. Labels interessierten sich noch immer nicht für uns, so sparte ich dann für eine Promoagentur :)
Otti:
Musikalisch entdeckt man darauf verschiedene Handschriften, die sich angenehm ineinander verweben. Welche Ideen und Einflüsse habt ihr in der Komposition verarbeitet?
Marcel:
Ich glaube alle, die wir bis dahin hatten und nichts mit unseren anderen Projekten zu tun haben. Bei mir fließt da so ziemlich alles rein. Postpunk/Shoegazer/viel 80er Zeugs.
Hanin:
Da das Album über einen Zeitraum von fast 10 Jahren entstand hatten wir sehr viele Einflüsse.
Ich weiß noch wie ich das erste Mal Jeff Buckley hörte und wir uns dann an einen Song setzten, oder Leonard Cohen als wir uns an Crash setzten. Wir hörten viel Siouxsie and the Banshees! Waren uns oft uneinig, bis wir Sounds fanden und Flächen die uns beiden zusagten und unserer beider Einflüsse in etwas neues und dennoch vertrautes verwandelten.
Otti:
Inhaltlich entnehme ich der Presseinfo, dass sowohl persönliche, als auch politische und gesellschaftskritische Themen ihren Weg in die Lyrics gefunden haben. Wie gewichtet sich das denn, und wieviel Aussagekraft schreibt ihr Songtexten generell zu?
Hanin:
Ich, als Textschreiberin, finde Songtexte immer wichtig und möchte, dass man mich versteht und freue mich, wenn Leute sich durch Songs verstanden fühlen, nicht allein auf dieser oberflächlichen Welt. Das gibt einem das Gefühl des Verschmelzens mit anderen. Die Musik sollte das Empfinden des Textes noch verstärken, unterstützen. So, dass Menschen die den Text nicht verstehen, dennoch das fühlen, was er aussagt.
Otti:
Die erste Single wird/ist zudem der Song Love, zu dem auch gleich ein Video gedreht wurde. Welche Bedeutung hat für euch speziell dieser Song?
Hanin:
Love ist entstanden, als ich völlig naiv und euphorisch den einfachsten und fröhlichsten Text schrieb, der mir je eingefallen ist :)
So ist für mich die Liebe in der Idealform. Ohne Verkopftheit und voller naiver Offenheit. Im Video haben wir das dann aber wieder in Frage gestellt, indem wir mit Stereotypen aus Märchen gespielt haben. Naivität macht oft blind und idealisiert eine Person, die man durch eine rosarote Brille sieht. Man projeziert.
Ich spiele im Video eine naive gute Fee, die sich in ihren freakigen Nachbarn verknallt und seine Aufmerksamkeit sucht. Nur die Zuschauer sehen wie er wirklich ist, eine pessimistischer Caspar Hauser, der auf Distanz geht und sich an den Knochen seiner Vergangenheit die Zähne ausbeißt... (Marcel hat sich wirklich beim Dreh einen Zahn abgebrochen ;)) Die schwarze Hütte, in der er lebt, steht für seine dunkle innere Seite. Er verschmilzt damit und ist destruktiv, lässt sich auf nichts wirklich ein, veleibt sich nur alles ein (Kannibalismus), wird aber nicht Teil von etwas. Es gibt kein Happy End wie bei "Die Schöne und das Biest"...
Die Protagonistin steht am Ende wieder allein und ernüchtert da.
Marcel:
Hanin,dem kann ich nichts mehr hinzu fügen, hahahaaa.
Otti:
Wie bereits angedeutet, seid ihr beide auch viel anderweitig beschäftigt, Marcel ist z.B. Gitarrist bei Die Krupps. Inwieweit lässt sich da ein Projekt wie Fantôme jetzt vertiefen, wenn es z.B. um Liveauftritte geht?
Marcel:
Das muss natürlich von langer Hand geplant sein. Sonst kommen sich beide Bands in die Quere. Zum Glück bedient es ein komplett anderes Publikum. Das macht es etwas einfacher. So wird es 2014 im Wechsel von beiden Bands laufen. Februar/März gehe ich mit Die Krupps auf Europa Tour. Dann April/Mai mit Fantôme. Und so weiter.....
Otti:
Und zum Abschluss noch: Auf was freut ihr euch - Abgesehen vom Release von It All Makes Sense - am meisten im Jahre 2014?
Hanin:
Auf eine gemeinsame Tour mit unserer Band :)
Marcel:
Dito!
Fantôme @ Facebook
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