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Interview (Musik)Blättern: Vorheriger Artikel | Nächster Artikel

SCALLWAGS: Den Tragödien ein Gesicht geben

Die Scallwags feiern 25-jähriges Jubiläum und passend dazu haben sie ganz frisch ihre zweite "Best Of" mit dem Namen 25 veröffentlicht, auf der sich die Top-Songs der Jahre 2006-2021 befinden. Aus diesem Anlass durfte ich für die aktuelle Slam-Ausgabe #119 eine kleine Story mit den Punkrockern verfassen. Das zugehörige Interview ist mal wieder viel umfangreicher ausgefallen, als Platz im Heft zur Verfügung stand - also könnt Ihr hier all das lesen, was im Slam nicht untergekommen ist. Viel Spaß!

Otti:
Was war seinerzeit der Anlass bzw. die Motivation, die Scallwags zu gründen?

Alex:
Aufgrund von Enttäuschungen und Vertrauensmissbrauch im Umfeld unserer alten Band und der daraus resultierenden Frustration, trafen der Bruder unseres jetzigen Schlagzeugers und ich uns mehrfach in der Woche im Proberaum. Es machte sich ein gewisser Nihilismus breit. Obwohl wir unsere Instrumente eigentlich ganz passabel beherrschten, warfen wir zunächst alles über Bord, was wir über die Jahre gelernt hatten. Mike, eigentlich Gitarrist, setzte sich hinters Schlagzeug und ich blieb bei der Gitarre. Wir prügelten zunächst ohne Sinn und Verstand auf unsere Instrumente ein und brüllten wie die Irren in die Mikrofone. Es ging einzig um Wut, Aggression und Energie. Niemand sollte auch nur annähernd daran denken können, dass wir Musik für andere machten oder irgendjemandem gefallen wollten. Aufgerissene Arme, blutüberströmte Gitarren und Krach von enormer Lautstärke resultierten daraus. Rückwirkend betrachtet entwickelte ich in dieser Phase meine ganz eigene Art Gitarre zu spielen. Es hat noch immer viel mit Energie und Wut zu tun. Auf Platte wird man das nicht so hören, wer es live erlebt hat, weiß wahrscheinlich, was ich meine.

Scallwags
"Ich bin sehr dankbar, dass wir nach so langer Zeit und teilweise großer räumlicher Entfernung immer noch befreundet sind, zusammen Musik machen und nach wie vor Spaß haben."

Wir nannten die ganze Sache "Togetherbreakment" und beschlossen nach einigen Wochen weitere Musiker mit an Bord zu nehmen. Die Instrumentierung wechselte. Christian spielte Schlagzeug und sang, Mike ging an die Gitarre zurück, einem Schulfreund wurde ein Bass besorgt und ich blieb bei der Gitarre. Das war dann wohl die Urbesetzung von Scallwags. Nach kurzer Zeit stieg Mike aus und ich konnte auf einer Abi-Feier den Thomas überzeugen bei uns einzusteigen. Da ich sehr betrunken war, wusste dieser anfangs gar nicht so recht, was ich von ihm wollte, glaube ich.

Bei Scallwags gab es dann auch wieder richtige Songstrukturen und Melodien. Das Ganze wurde recht musikalisch.

Danach wechselten nur noch die Bassisten.

Otti:
Nun habt Ihr mit 25 [Best of 2006-2021] eine Jubiläumskompilation veröffentlicht - nach Scallwags [Best-Of 1996-2006] die zweite ihrer Art. Wenn ihr beide Retrospektiven miteinander vergleicht, was zeichnet die eine, und was die andere besonders aus?

Thomas:
Beide Platten fassen jeweils ganz gut unsere musikalischen Phasen zusammen. Unsere selbstbetitelte erste Best-of Scheibe, deckt unsere ersten drei Alben ab, auf denen neben Punkrock und Rock´n´Roll auch einige Country-, Ska- und Latin-Anleihen zu hören sind. Eine spannende Achterbahnfahrt quer durch den musikalischen Gemüsegarten, teilweise begleitet von Bläsern, Mariachi-Gitarren und Mundharmonika.

Auf den späteren Alben, die jetzt auf 25 vertreten sind, haben wir uns dann ganz auf Punkrock mit Rock´n´Roll-Kante konzentriert und Off-Beat und Co. über Bord geworfen. Wir sind gereift, was das Songwriting und die Produktionen angeht und wir sind auch ein ganzes Stück ernster in unseren Themen geworden. Und was 25 natürlich besonders auszeichnet ist, dass es nach 25 Jahren DIY-Veröffentlichungen die erste Platte ist, die mit Wolverine Records über ein renommiertes Label erscheint.

Otti:
Nach welchen Kriterien habt Ihr die Tracks für die neue LP ausgewählt?

Thomas:
Einziges Kriterium war unser eigener guter Geschmack. ;)
Wir haben in der Band abgestimmt, wer welchen Song auf das Album nehmen möchte und entsprechend Punkte vergeben. Da haben sich dann ein paar klare Gewinner durchgesetzt und beim Rest gab es ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Es war interessant zu sehen, wer welche Favoriten hat und welche Überraschungskandidaten so um die Ecke kamen. Ein paar Songs haben es am Ende leider nicht auf das Album geschafft, weil die Spielzeit halt begrenzt ist.

Otti:
Ihr habt auch zwei neue Songs hinzugefügt, von denen Desperate Lullaby (Song For Alan) einen erschütternden Hintergrund hat. Was könnt Ihr mir zur Entstehung dieses Stücks erzählen?

Thomas:
Das Lied ist ein fiktives Schlaflied für eine Kind auf einem Geflüchteten-Boot. Es ist Alan Kurdi gewidmet, dem syrischen Kleinkind, dessen Bilder 2015 um die Welt gingen, als er ertrunken an der türkischen Küste angespült wurde. Als ich damals die Bilder gesehen habe, hat mich das sehr getroffen und nicht mehr losgelassen. Meine beiden Kinder waren zu diesem Zeitpunkt 2 und 5 Jahre alt. Deshalb habe ich das in einem Song verarbeitet.

Mir wurde auch bewusst, wie mächtig solche Bilder sind, wie wichtig es ist, der Tragödie im Mittelmeer ein Gesicht zu geben und zu zeigen, dass da Menschen wie Du und ich sterben. Jeder jemandes Kind und vielleicht selbst Eltern. Und dass das in der öffentlichen Wahrnehmung kurz hochkocht und dann wieder abebbt und von anderen Themen übertönt wird, denn wir sind als Gesellschaft sehr gut darin unbequeme Wahrheiten beiseite zu schieben und zu verdrängen. Und dann wird der Protest wieder leiser und der Support weniger und es ändert sich nichts.

Deshalb finde ich es so wichtig, Organisationen wie z.B. Sea Watch zu unterstützen, die unermüdlich handeln und viele Menschen vor dem Ertrinken retten. Darum haben wir auch mit der freundlichen Unterstützung von Sea Watch ein Video zu Desperate Lullaby erstellt, das zum Spenden aufruft.

Otti:
Wenn ich das richtig gesehen habe, ist 25 Eure erste Veröffentlichung auf Schallplatte. Was hat hierfür den Ausschlag gegeben? Und wie betrachtet Ihr das "Vinyl-Revival" ganz allgemein?

Thomas:
25 ist schon die zweite Schallplatte. Auch unsere erste Best-of erschien auf Vinyl. Damals wollten wir unbedingt Vinyl machen, weil wir das bis dato nicht hatten und weil wir zwei große Vinyl-Liebhaber in der Band haben. Für 25 war es dann nur konsequent, wieder auf Vinyl zu gehen. Und so haben wir jetzt ein schönes Doppelpack mit der kompletten Retrospektive auf 25 Jahre.

Alex:
Ich selbst habe schon immer Platten gesammelt und viel second hand gekauft. Es ist angenehm, dass jetzt auch neue Veröffentlichungen auf Platte zu haben sind.

Otti:
Abseits Eurer Songs: Auf welche Momente und Errungenschaften der Scallwags-Historie seid Ihr besonders stolz?

Alex:
Das Gefühl kenne ich nicht.

Thomas:
Stolz ist da vielleicht nicht der richtige Begriff. Ich bin sehr dankbar, dass wir nach so langer Zeit und teilweise großer räumlicher Entfernung immer noch befreundet sind, zusammen Musik machen und nach wie vor Spaß haben. Dass wir immer das gemacht haben, worauf wir Bock hatten und der Rock´n´Roll uns irgendwie auch jung gehalten hat (zumindest innerlich).

Besonders dankbar bin ich für die vielen interessanten Menschen, die wir in der langen Zeit kennenlernen durften, und die Freundschaften, die entstanden sind.

Und es ist natürlich großartig, wenn dir Leute erzählen, dass Ihnen deine Musik etwas bedeutet. Oder wenn jüngere Bands, die wir cool finden, uns erzählen, dass sie als Kids auf unseren Konzerten waren und wir unseren Teil dazu beigetragen haben, dass sie angefangen haben, Musik zu machen.

Otti:
Nun habt Ihr für Weihnachten ein Geburtstags-Konzert geplant. Angesichts der aktuellen Situation, mit welchen Gefühlen blickt Ihr diesem Event entgegen?

Thomas:
Mit sehr gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite wollen wir unbedingt wieder Konzerte spielen und sehnen uns nach Shows mit Menschen vor der Bühne. Und gerade das 25. Jubiläum wäre ein besonderer Anlass zum Feiern nach einer sehr langen Durststrecke. Da hatte der Herbstbeginn ja durchaus auch Hoffnung gemacht.

Auf der anderen Seite ist das alles unwichtig, wenn das Gesundheitssystem am, bzw. schon über dem Limit ist. Wir schauen uns jetzt die Entwicklung in den nächsten Wochen an und treffen dann gemeinsam eine Entscheidung. Aktuell bin ich pessimistisch.

Alex:
Es wäre mir lieb, wenn mehr Menschen von sich aus verantwortungsvoll handeln würden und damit den politischen Einschränkungen vorgreifen würden. Nur weil es noch nicht verboten ist, muss ich nicht zu allen möglichen Menschenansammlungen rennen. Meine Vorstellung von Freiheit ist nicht die egoistische (kleinkindliche) Variante, sondern eine solidarische. Anarchie hat viel mit Eigenverantwortung und Solidarität zu tun.

Solange die Situation in den Krankenhäusern sich nicht entschärft, bin ich gegen eine Konzertveranstaltung. Allerdings geht es hier nicht um eine Art Veto, sondern wir werden gemeinsam, abhängig von der Coronasituation unter Einbeziehung von Veranstaltungsort, den anderen Künstlern, Freunden usw., eine Entscheidung finden.

(Anmerkung des Redakteurs: Das Interview ist im November entstanden. Mittlerweile ist das Jubiläumskonzert leider abgesagt.)

Otti:
Und wenn ich dann in 25 Jahren zu Eurem 50. kommen möchte, achtet Ihr bitte drauf, dass die Location und die Verpflegung seniorengerecht sind?

Alex:
Ich gehe davon aus, dass in 25 Jahren alle - auch Du - noch topfit sind und die Show in gewohnter Weise stattfinden kann. Selbstverständlich werden wir im Fall der Fälle allen etwaigen Handicaps entgegenwirken.

Thomas:
Auf jeden Fall. Bei unserem Lieblings-Club und Wohnzimmer, dem Stattbahnhof in Schweinfurt, hält die Bahn ja praktisch direkt vor der Türe. Wir werden dann verstärkt auf Flüssignahrung setzen und wie immer ordentlich laut aufdrehen.

Website:
scallwags.de

Art des Interviews: Email
12/15/21 by Otti
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